Zu den kolumbianischen
Friedensverhandlungen in Havanna
Am 19.
November wurden in Kuba die Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen
Regierung und den FARC-„Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens“ fortgesetzt. Der
Auftakt dazu fand am 18. Oktober im Hotel Hurdal, am Rande Oslos. statt.
Das
Treffen in Havanna war ursprünglich auf den vergangenen 15.November anberaumt. Die
Vertagung auf den 19. November, so heisst es aus Regierungskreisen in Bogotá,
sei schliesslich mit „technischen Details“ begründet, womit jedoch eine in
letzter Minute zugelassene Internet-Seite gemeint ist, wo nun die Menschnrechts-Organisationen
Kolumbiens die Verhandlungen per Liveticker verfolgen können.
Die
Initiative zu den Verhandlungen war 2011 von der Guerrilla ergriffen worden.
Aus trifftigem Grund: Während der achtjährigen Regierung Álvaro Uribe wurde die
Kampfstärke der seit 1966 aktiven FARC von 16.000 Mann auf nahezu die Hälfte
zusammen geschossen und bombardiert-, ihre vollzählige Gründergarde – Manuel
Marulanda, alias „Tiro Fijo“, Negro Acácio, Raúl Reyes, Alfonso Cano, Iván Ríos
und Mono Jojoy – in den vergangenen Jahren in Gefechten getötet worden. Obwohl
stur von der FARC-Führung bestritten, liegt nahe, daß die letzte Guerrilla
Lateinamerikas eingesehen hat, daß der Krieg mit militärischen Mitteln nicht
mehr zu gewinnen ist.
Als Ort
der Zusammenkunft hatten FARC-Emissäre der seit 2010 amtierenden Regierung Juan
Manuel Santos eine Pufferzone auf kolumbianischem Territorium vorgeschlagen,
doch Santos´ Unterhändler lehnten ein „zweites Caguán” ab, und schalteten die
als Konflikt-Mediatorin weltweit respektierte norwegische Regierung ein – so
kam es zu Oslo.
Die
Warnung vor einem „zweiten Caguán“ hat es auf sich, sie meint die 2002 gescheiterten
Friedensbemühungen der Regierung Andrés Pastrana. Ihr Kernstück war eine
entmilitarisierte Zone in San Vicente de Caguán, tiefstes Amazonien. Entgegen
den damaligen Absprachen, überranten die FARC das Niemandsland, bar jeder
militärischen Kontrolle, und errichteten dort ihre uneingeschränkte Herrschaft
über Zivilbevölkerung und Wirtschaft. Die FARC hatte den Friedensplan verraten,
die Kriegshandlungen wurden weitere zehn Jahre fortgesetzt.
Vierter
Friedensversuch seit 1998, werden diesmal Gespräche über ein 5-Punkte-Programm
in Havanna aufgenomnen. Verhandelt wird über die Einstellung der
Kriegshandlungen, eine Agrarreform, die eventuelle Anerkennung der FARC als
legale Partei, lindernde Strafmassnahmen für begangene Verbrechen und die
Garantie der Nicht-Auslieferung an Drittstaaten. Letzterer ist für die FARC ein
Überlebensgesetz, gegen die gesamte Führung liegen im In-und Ausland
Haftbefehle vor. Für die Auslieferung Chefunterhändlers
Luciano Arango, alias "Iván
Márquez“, bietet das US State Department z.B. 55 Mio. Dollar - http://www.state.gov/j/inl/narc/rewards/115279.htm.
Der stolze Preis ist mit den schweren Verbrechen (Mitglied einer als „terroristisch“
eingestuften Vereinigung und massiver Drogenschmuggelin die USA) Arangos
begründet. Also musste die Regierung Santos eilends den USA eine Jagdpause
abhandeln, damit Arango et alii unbehelligt ausreisen durften – so kam die
Guerrilla nach Oslo.
FARC: nichts dazu gelernt“
Sollten die Konfliktparteien Einigung erzielen, könnte Kolumbien noch vor Jahresende den langersehnten Frieden zellebrieren, nachdem 200.000 Menschen im fünfzigjährigen Zermürbungskrieg das Leben verloren.
Doch das, was sich Arango in Oslo leistete als Auftakt zum Dialog, war eine
Absage an elementare Diplomatie. Er schien lange Zeit nach der globalen Bühne
gedürstet- und seine theatralische Ansprache im fernen Dschungelversteck auf
Betonung und Gestik geprobt zu haben: Vor einer Hundertschar Journalisten
verliess Arango den leidlich vereinbarten Fahrplan, und ging auf´s Ganze: Der
Friede müsse mit einem radikalen „Umbau der kolumbianischen Wirtschaft“
erkämpft werden. Humberto de la Calle, Ex-Vizepräsident und
Chefunterhändler der kolumbianischen
Regierung, traute seinen Ohren nicht, als Arango die multinationalen
Bergbaufirmen, die US-Regierung, die soziale Ungleichheit und den „Staatsterror
der Regierung“ attackierte – eine scheinbar unredliche Verleugnung des bemühten
kolumbianischen Rechtsstaates, doch niemand in der Santos-Regieriung wir noch
leugnen wollen, daß dieser Rechtsstaat erst seine wirkliche Legitimation
erhält, wenn er endlich mit dem skandalösen Landeigentumsverhältnissen aufräumt, weil immer noch 1,15 Prozent der
Besitzer Herren über 52,2 Prozent des kolumbianischen Bodens sind. Damit fing
ja vor 50 Jahren der Konflikt an, der Kampf der armen campesinos war die Stunde Null der FARC.
Santos´“dritter Weg“
Santos ist nicht gleich Uribe. Der der Agraroligarchie
entstammende und von korrupten Politikern und Warlords umgebene ex- Präsident
und sein kultivierter Nachfolger aus angesehenen Politiker- und
Verleger-Familien Bogotás (die Familie Santos begründete Kolumbiens renommierte
Tageszeitung, „El Tiempo“) sind sich spinnefeind. Rechtsanwalt und Journalist
Aurelio Callejas, ein Santos-Freund, will sogar von einer Verschwörung gegen
den Präsidenten wissen und hat beim Generalstaatsanwalt Anzeige gegen Uribe und
seine „Front gegen den Terrorismus“ wegen angeblicher Umsturzpläne und
Hochverrat erstattet.
“La Tercera
Vía: una alternativa para Colombia” [Der dritte Weg: eine Alternative für Kolumbien], heisst das 1999
erschienene, sozialdemokratisch angehauchte Werk Juan Manuel Santos´, das sich
der Mitarbeit des damals amtierenden, britischen Prime Ministers Tony Blair
erfreute. Zehn Jahre später, veröffentlichte Santos im spanischen Verlag Planeta, „Jaque al Terror: los años horribles de las
FARC“ [Schachmatt gegen den Terror: die grauenhaften Jahre der FARC] –
eine Chronik der erbarmunglosen Schläge die der Narco-Guerrilla während seiner
Amtszeit als Verteidigungsminister Uribes versetzt wurden. Die Liquidierung der
legendären FARC-Comandantes ging komplett auf Santos´ Konto. Das Vorwort dazu
schrieb der preisgekrönte zeitweilige Fidel Castro Verbündete, im Mai 2012
verstorbene mexikanische Schriftsteller, Carlos Fuentes. Das Eröffnungszitat
entlieh Santos einem dezidiert sozialistischen Nobelpreisträger: Dem Portugiesen José Saramago. Dieser hatte prophezeit:
“Sollte Kolumbien es schaffen, sich vom Horror der Guerrilla zu befreien, hat
es das Zeug für eine grosse Nation“.
Angetrieben von dieser moralischen Rückendeckung, lenkte
Santos in den Friedensappell der Guerrilla ein, sehr wohl wissend, daß er es
mit einem bös angeschlagenen, doch noch nicht bezwungenen Gegner zu tun hat.
Zynismus statt Reue
Die kolumbianische Gesellschaft zahlte einen hohen Blutzoll für die fünfzigjährige Konfrontation: Bis 2008 hatte der Staat den Tod von 3.515 Polizisten und 9.222 Soldaten zu beklagen, dazu kamen 30.500 Verletzte, 1.250 Gefangene (darunter Befreite und Hingerichtete) und 128 vermisste Militärs. Die FARC erlitten 26.500 Tote, 48.000 Gefangene und 25.000 „demobilisierte“, also geflohene und freiwillig ergebene Guerrilleros. Zwischen 80.000 und 100.000 Zivilisten gelten als tot oder vermisst, ca. 5,0 Millionen wurden landesweit vertrieben.
Doch selbst in den eigenen Reihen etablierten die FARC das Schlachthaus-Statut: Von Pol Pot´scher Paranoia besessen, wurden seit 2009 zwischen 400 und 600 verdächtige Guerrilleros umgebracht. Dokumentiert sind jedenfalls 180 Exektionen auf Anordnung Hernán Darío Velásquez, alias „El Paisá”. Weitere 112 Morde und 300 Erschiessungen werden jeweils den inzwischen umgekommenen comandantes “Mono Jojoy“ und „Iván Ríos“ zugeschrieben. Von Geisel-und Gefangenen-Füsilierungen ganz zu schweigen. Doch die FARC kennt keine Reue.
Die sture Leugnung der Gewaltverbrechen könnte der Guerrilla das
politische Genick brechen. Dazu kommen nun die Entschlüsselungen der Sicherheitsorgane und Finanzexperten über Ihr Drogengeschäft: Dank ihrer Waffenmacht haben sich die FARC zu einem der grössten Drogenkartelle entwickelt, das die Kokainherstellung und ihren Vertrieb mit erpresseerischen Methoden der Mafia kontrolliert:
● 10.000 US-Dollar je Woche für den Schutz eines Laborbetriebs,
● 13.000 US-Dollar je Flugzeug-Landung – die FARC kontrollieren 57 Landepisten und 70 Flughäfen,
● 20 US-Dollar je befördertes Kilogramm Kokain,
● 10 US-Dollar Monatssteuer je geschütztem Hektar Anbaufläche.
● 1 US-Dollar Gebühren je Gallon beschiffter Rohstoffe
● 5 US-Dollar je erzeugtes Kilogramm Kokain.
Nach Schätzungen der kolumbianischen Staatsanwaltschaft beläft sich die mit dem Drogengeschäft jährlich erzielte „Deviseneinfuhr“ der FARC auf stolze 1.0 Mrd. US-Dollar, realistischere Berechnungen vermuten gar das Doppelte; eine halbe Milliarde allein für die Überwachung der Kokainherstellung, berichtet die Weltbank.
Internationale Ermittlungen nach FARC-Unternehmen
Die kolumbianische Staatsanwaltschaft leitete deshalb erstmalige
Ermittlungen über die FARC Guthaben in Überseee ein. Dreissig Prozent des
schmutzigen Geldes werden in Kolumbien vermutet, der Löwenanteil sei jedoch in profanen,
kapitalistischen Unternehmen der Transport-, Bau-, Hotel- und Gebrauchsartikel-Branchen
in Lateinamerika, den skandinavischen Ländern, aber auch in Deutschland
angelegt. Sinn der Untersuchung ist, die FARC mit den Funden zu konfrontieren
und sie zu Wiedergutmachungen an der vom Terror geschädigten Zivilbevolkerung zu
verpflichten.
Doch die Einnahmen der FARC begrenzen sich nicht auf den
Drogenhandel, übrige Quellen sind Lösegeldempfang für Entführungen, Landraub
und Viehdiebstahl. Die Staatsanwaltschaft schätzt 300.000 Hektar bebautes Land und
106.934 Stück Vieh in Händen der Narco-Guerrilla, die die ursprünglichen
Eigentümer mit Gewalt von ihrem Besitz vertrieb. Gegen Landraub gingen 21.000
Beschwerden bei den Sicherheitsbehörden ein, 5,2 Millionen Meschen wurden von
der Narco-Guerrilla und rechtsgerichteten paramilitärischen Verbänden vertrieben.
„Akzeptable Minimalzugeständnisse“
Staatsanwaltschaft ermittelt z.B. über das Schicksal von mindestens 1.000 Verschwundenen während der Amtszeit Santos´ als Verteidigungsminister. Der Staatspräsident gab im November 2011 auch öffentlich zu, daß das Militär Hinrichtungen und standrechtliche Erschiessungen von Regimegegnern zu verantworten habe, weshalb 27 höhere Offiziere fristlos entlassen und Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden.
Die schwierigste Hürde der Gespräche in Havanna ist deshalb die Aushandlung sog. „akzeptabler Mindestzugeständnisse” . Die kolumbianische Öffentlichkeit jedenfalls erwartet daß die FARC ihre eigenen Verbrechen anerkennen, dafür hinter Gittern bestraft werden und ihre Opfer entschschädigen.
Vom
Militär unter Druck gesetzt, dem ultrakonservativen Uribe-Kreis angefeindet, und
einer ramponierten Popularität von 40 Prozent, braucht Santos die Befriedung Kolumbiens
für seine Widerwahl in zwei Jahren. Die Narco-Guerrilla weiß das nur zu gut,
und versucht rücksichtslos Zugeständnisse heraus zu pressen. In letzter Minute,
machten sich die FARC z. B. die Forderung kolumbianischer
Menschenrechts-Organisationen zu eigen, die ihre Teilnahme an den
Friedensverhandlungen verlangen. Diese hatte Staatspräsident Santos auch zugesichert,
jedoch erst in der Umsetzungsetappe der in Havanna ausgehandelten
Einzelmaßnahmen. Für die Aufnahme der Impulse aus der Bevölkerung, kooperiert das
Parlament seit Monaten mit mehr als 400 Organisationen im Lande – die sog.
„Mesas Regionales de Paz“ / Regionale Rundtische für den Frieden. Insgesamt 800
Altionsvorschläge von 2.300 Bürgervertretern wurden an Hochkommissar Sergio Jaramillo übergeben, der sie an Regierung und FARC
weiter geleitet hat. Doch genau die aktive Bürgerbeteiligung an den
Friedensverhandlungen könnte für die FARC mit einem Eigentor ausgehen.
Die Linke
weltweit muss endlich Abstand nehmen von dieser dekadenten und kriminellen
Vereinigung.
Fotos:ilustração